Caroline Heider
(…)JB: Ich möchte gerne nochmals auf das Prinzip der Faltung zu sprechen kommen. Die Faltung ist überhaupt ein wiederkehrendes Element in deiner Arbeit. Es gibt eine ganze Reihe von Werkserien, bei denen du Fotografien oder gefundenes fotografisches Material reproduzierst und anschließend faltest. Neben Bildern aus Magazinen oder Zeitschriften, die ein bestimmtes Frauenbild vermitteln, sind dies unter anderem auch – wie bei der Serie Oh, ein Phänomen! (seit 2005) – Fotografien stimmungsvoller Licht- und Wolkenformationen. Durch den künstlerischen Eingriff der Faltung werden bestimmte Bildbereiche ausgeblendet, bleiben fragmentiert oder machen den Bildträger – wie im Fall der Phänomene – durch die Verletzung der Bildoberfläche sichtbar. Kann man sagen, dass du diese Bilder durch das Falten dekonstruierst und sie dadurch einer Konsumierbarkeit zu entziehen versuchst?
CH: Das Falten ist immer auch ein performativer Akt und ein einfacher Dimensionswechsel des Materials. Man könnte sagen, dass ich das Falten der Bilder als Nachdenken über die Bilder betreibe. Alles kann konsumiert werden. Ein Entzug ist nicht möglich, außer man produziert nichts. Sogar das Nichts kann Konsumgut werden, wenn wir uns zum Beispiel die vielen Ratgeber zur Meditation oder Weisheiten über Zen für den durchschnittlich gestressten Bewohner des Abendlands ansehen. Ein Knick in einem Foto ist normalerweise ein Grund zum Ausschuss. Ich erhebe den Fehler zum Prinzip, was mir erlaubt, das Unsichtbare am Bild sichtbar zu machen, indem ein Teil des körperlosen Bildes verschwindet. Es ist eine einfache Methode die Aufmerksamkeit aus sonst nicht beachtete Aspekte zu lenken, quasi durch die Ineinanderverschiebung der Abbildung und des Bildträgers. Durch die Faltung ist ein Teil vielleicht nicht mehr sichtbar, dafür ein anderer Teil des Bildes. Im Grunde ist alles vorhanden. (…)
(aus: "Kokolores – Interview mit Caroline Heider von Julia Brennacher" in: Caroline Heider- Kokolores, Galerie im Taxipalais 2013. S.22-23)
"Caroline Heiders Konzept der Fragmentierung unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Praxis der KünstlerInnen, die wir als eine Art imaginärer Ahnenreihe von Hans Bellmer bis Annegret Soltau, von Imre Kertesz bis Candice Breitz aufzählen könnten, die tatsächlich mit Puppen oder Bildern Körperteile vereinzelten und "falsch" zusammensetzten. Nicht der Schnitt mit seiner definitiven Vereinzelung und den darin implizierten Möglichkeiten der willkürlichen Neu-Gruppierung der Körperstücke beziehungsweise deren Bilder ist es, mit dem Heider der Fotografie zusetzt. Statt dessen faltet sie das Lichtbild, nichts wird tatsächlich abgetrennt. Ein Teil des Bildes (und damit des darauf abgebildeten Leibes) verschwindet einfach in der Falte, wird dem Blick entzogen wie hinter einem Wandvorsprung im Raum – und ein wesentlicher Aspekt dabei ist auch diese entstehende Räumlichkeit, ist der Schatten, der sich zwischen Fotopapier und Fotopapier einnistet und der damit die Materialität der fotografischen Abbildung ihrer (durch eben die Falte gestörten) Reproduktionsfunktion programmatisch zur Seite stellt. Oder vielleicht im wörtlichen Sinn: Diese beiden stets latenten Möglichkeiten der Fotografie zur Überlagerung, zur Deckung bringt. Knick und Gegenknick betreffen unweigerlich beides, fotografisches Material und fotografisches Abbild. Das gewohnte Kontinuum der Oberfläche wird nicht nur unterbrochen, sondern auch in eine vordere und eine dahinter liegende Partie geschichtet. Und das Motiv spaltet sich in Sichtbares und Nicht-Sichtbares. (...) Die "Falte" schreibt sich ein in die Materie der Fotografie und greift zugleich den Körper an, wirkt als Zeichnung und Zeichen- Caroline Heider verweist nicht zufällig auf Gottfried Wilhelm Leibniz, der erst neulich durch Gilles Deleuze und Horst Bredekamp in den Zusammenhang mit visueller Kultur gebracht worden ist. Bei ihm diente die Falte als Erkenntnismetapher..." (aus Monika Faber: Das gefaltete Mädchen, in Camera Austria No 103/104, Graz, 2008, S.68)
Caroline Heider
*1978 in München, UMDK-Filmakademie Wien, Glasgow School of Art, Akademie der bildenden Künste, Wien. Österreichisches Staatsstipendium des BMUKK, Outstanding Artist Award des BMUKK, Philipp Harnoncourt Kunstpreis, 32. Österreichischer Grafikpreis Innsbruck, Kunstpreis der Volksbank Kärnten für Fotografie und Bildende Kunst, Anni und Heinrich Sussmann Stipendium, Theodor Körner Preis. Ihre Arbeiten waren unter anderem in der Galerie im Taxispalais, Innsbruck, im Belvedere, Wien, in der Skug Gallery, Ljubljana, dem Forum Stadtpark, Graz, der WerkStadt Graz, und der Galerie Winiarzyk in Wien zu sehen; sie lebt und arbeitet in Wien.